Der Anorak raschelt. Ich weiß jetzt wieder, warum ich ihn nicht gerne anziehe. Doch für den Balkon reicht es. Der Winter ist wohl die beste Zeit, um mit dem Rauchen aufzuhören. Die Luft ist kalt und riecht nach Kälte. Es ist schon den halben Tag stockfinster, aber um diese Zeit jetzt wäre es auch im Sommer schon dunkel.
Ich setze mich auf die Bank. Drehe eine Zigarette. Hab mal gehört, dass es Selbstdrehern schwerer fällt, aufzuhören, weil das Drehen so ein angenehm produktiver Moment ist, mit der Befriedigung, ein kleines Kunstwerk geschaffen zu haben. Das sich dann in Rauch und Asche auflöst. Da mag was dran sein. Knister, knister. Fertig. Das Feuerzeug klingt laut in der Nachtstille. Ein klassisches BIC. Klickfeuerzeuge finde ich aus irgendeinem Grund assi. Ich bin manchmal verflucht oldschool. Merkt man ja auch am Rauchen. Total out.
Aber gerade finde ich es schön, draußen zu sein. Die meisten Fenster sind dunkel. Gegenüber läuft jemand mit einer Stirnlampe den Weg entlang und verschwindet in einem Haus.
Auf dem Balkon bin ich ein unsichtbarer Beobachter.
Ich sehe die Sterne. Ein klarer Himmel. Kein Mond in Sicht. Es weht ein leichter Wind, doch es ist kein Laub mehr zum Rascheln da.
Ich scrolle auf dem Handy rum. Ich habe darauf kaum Socialmedia-Apps oder Spiele. Also wird es schnell langweilig. Ich sehe mir darum meine heutige Pulskurve an. Was für ein ruhiger Tag. Dann gucke ich in der Wo ist?-App, ob er noch unterwegs ist. Ja. Sehe, dass meine Mutter zu Hause ist. Wo soll sie auch sonst um die Zeit sein?
Meistens finde ich es beruhigend, dass auch ich immer zu orten bin. Sollte mal etwas passieren. Manchmal etwas beengend. So ein „Zwei-Seiten-der-Medaille“-Ding. Ich bin froh, dass es das noch nicht gab, als ich jung war. Da war es doch großartig, mal frei und unerreichbar zu sein. In der Zeit vor den Handys. Ich kann jedoch verstehen, wie beruhigend es Eltern heute finden, ihre Kinder nicht suchen zu müssen. Sie sind immer ein Punkt auf der Karte und nur einen Anruf oder eine Nachricht entfernt. Bei anderen finde ich es ja auch praktisch. Gerade fände ich es sogar nett, jederzeit jeden Menschen orten zu können, den ich so kenne. Einfach nur so. Lauter vertraute Punkte auf der Karte verteilt. Ein sichtbares soziales Netz. Aber das ist nur ein Gedankenspiel, in der Realität wäre das schon ziemlich gruselig.
Der Anorak hält warm. Meine Nase wird kalt.
Und jetzt der Klassiker: Irgendwo bellt ein Hund. Das soll einer der häufigsten Sätze in Romanen sein. Egal, welches Genre. Seit ich das mal gelesen habe, fällt es mir jedes Mal auf, wenn in Geschichten irgendwo Hunde eine lebendige Umgebungsstimmung erzeugen sollen. Mein Hund in der Ferne gerade bellt mit einer Regelmäßigkeit, als hätte er Schluckauf. Ich denke an diese Szene bei „Family Guy“, in der man hört, worüber sich in der Nacht bellende Hunde unterhalten: „Hallo?“ – „Hallo!“ – „Bist du ein Hund?“ – „Ja!“ – „Ich bin auch ein Hund!“ – „Ist ja klasse!“ – „Wir sind Hunde, die nebeneinander wohnen!“ – „Ja, wir sind voll die Hunde!“.
Die Zigarette ist fast aufgeraucht.
Meine Pläne für dieses Jahr, in dem ich ein halbes Jahrhundert alt werde: Nichtraucher werden, kreativ, aktiv und gesund bleiben und das gerne auch noch etwas steigern, immer wieder neue Sachen ausprobieren, den Weltwahnsinn mit einer guten Portion Gelassenheit & Humor ertragen und mich über die schönen Momente im Leben freuen.
Jetzt freue ich mich darauf, zurück ins Warme zu gehen.
Nachts, wenn die Raucher frieren
